Valžyna Mort

In Fragezeichenposition

welche schmerzen, unter denen unsre jugend uns setzt in die welt
welche schreie, mit denen wir uns aufrichten aus der stellung des
fragezeichens
in die stellung des aufrufezeichens
die linke lippe polen und die rechte rußland öffnen sich
und zum vorschein kommen unsere köpfe aus...
doch woraus?
schon sechzehn namen sind gefunden für den schnee
zeit, sechzehn namen zu erfinden für die finsternis

in der stellung des fragezeichens -
mit unserem ganzen körper stellen wir uns in frage
mit einem tropfen harn dazu als punkt.
das sind wir? tatsächlich? stellen uns in frage?
oder ist es ein zusammengerolltes strandhandtuch
das die jugend trägt in ihrem bauch.

so langsam krebsten
die stumpfen hebammenscheren
daß ihre schneiden bisweilen
zu blankgeputzten straßen wurden
an den scharnieren des kriegsobelisken.
das traktorenwerk stellte auf die produktion von
lockenwicklern um
schickte jede woche ein körbchen
geschenke der mutter.
ihren lockenwicklerkopf
ein ideales modell des sonnensystems -
fotografierte man für kalender und alben.
das lockenwicklereinzugsprinzip
war die basis des nationalen mähdrescherbaus -
und meine erste metapher
die ich wutentbrannt wiederkäute
als hätte ich einen schwanensee verschluckt.

mein körper gehörte nicht mir:
gekrümmt vor schmerz
machte er karriere als fragezeichen in der korporation der sprache.

bie bürokratie des körpers trieb mich in die enge:
der kopf will nicht denken, sagt -
sollen die augen sehen
die augen wollen nicht sehen, sagen -
sollen die ohren hörn
die ohren wollen nicht hören, sagen -
die nase rieche
die nase will nicht riechen, spricht -
sollen die hände tasten
die hände tasten
zählen blindlings an den wunden jahresringe

schmerz – das ist ein labyrinth
das die wanderer anlockt
da es die gestalt ihrer sehnlichsten wünsche annimmt.

mein körper erblüht in lindgrünem schmerz
wo sind denn meine bienen? warum folgen sie nicht dem
süßen duft?

Jean-Paul Belmondo

alles begann mit Ihrem steingesicht
auf dem wie zwei robben die lippen lagen
im küstennebel aus zigarettenrauch
liefen Sie durch die straßen
sie aufzuzählen hieße -
den wellen des meeres namen zu geben

Sie brachen die herzen der pariser limousinen
so leicht und unbekümmert
daß man belmonDO nicht aussprechen wollte
ohne zuerst DOn juan zu sagen

alles nahm seinen fortgang mit meinem
vom kleid in streifen
gerissesnen leib. ich stand am rand des bürgersteigs
auf stöckeln
die waren der sechste zeh
und ich zeigte Ihnen
wo Sie parken konnten

in derselben nacht
als wir beieinander lagen
in dem park für die hunde
- die blumen bissen mich in den rücken! -
flüsterten Sie:
je länger ich schaue auf deine brustwarzenmünzen
desto deutlicher sehe ich auf ihnen die königin


körper und geld waren für Sie wie
das ei und die henne.
darüber daß
”knipsbörse” eine metapher sein konnte
waren Sie voll von den socken.
klauten Sie geld, deklamierten Sie gern:
eine börse ist eine börse ist eine
und noch
eine knipsbörse in der hand und in echt
ist besser als eine andere im himmel, überm kopf


Ihnen

schob der tod den neuen tag wie ein goldstück zu
und je mehr das backschisch anwuchs
um so schwerer zurückzuwiesen war es
um so tiefer beugten Sie sich Ihrem goldenen herzen

da sagten Sie

paris – ist so weiß nicht von nichts
es ist aus meiner rippe gemacht.
komm laß uns fahren dahin
wo der ozean einst vor gott seinen rock hob
und gott erbost über das was er sah
befahl die stelle zu verdecken mit einer stadt


mit der rechten hand umfaßten Sie meine taille,
und mit der linken -
liebkosten Sie das ohrläppchen der pistole
ich sagte:
gut, gehen wir!
dieser stadttanzplatz
war reduziert von der dunkelheit auf die größe
eines schlafenden kinds, leicht geöffneten munds.
die ausgestreckten hände der bettler hielt ich
für zungen von hunden, vom speichel naß
Sie besahen die beine:
meine, der tische, der stühle, von andern

dieser stadttanzplatz
war für mich ein käfig darin die akkordeons
die zähne bleckten gegen die krüppeligen geigenleiber
ich sagte:
Sie - sind meine jugend
ein apfel, der mich ißt, um sein wissen zu vergessen

alles brach mit dem fallen des vorhangs ab.
ihres körpers anker war die pistole.
und eine frau, schöner und schlanker als ich
die im salsatanz kreiste
schnitt Ihnen durch die brust
mit der schwingenden schneide
ihres rocksaums, befleckt von päonien

Opera

die oper -
ist ein fischmarkt
wo der fisch mit dem silber seines körpers singt
da hebt der dirigent sein messer
und aus den sängern schüttet's wie aus netzen
den tiefseefisch hervor
und wenn er sich auf dem holztisch windet
und hysterisch das meer sucht
den schweiß von den händen seines händlers leckt
und das blut schluckt das auf den boden rinnt
versucht es sich wieder einzuverleiben -
wird das schuppensilber zur kugel geschmolzen
und die kugel zielt den fisch auf die schläfe -
sing!

dort unter wasser wußte ja nicht
daß er nicht nach einem köder schnappt
sondern einer note
und die angel eine Stradivari ist
wie eine schlange beißt ihn das herz
drei mal
hosianna! hosianna! hosianna!
die drei klingelzeichen -
für den vater, den sohn und den geist

wer bist du – dirigent oder priester?
ist dies ein taktstock oder ein kreuz?
ps-ss-sst!

opera!

statt creolen trägt deine carmen schellentrommeln im ohr
wie ein waldhorn nährt ihr herz sich von lippen
in den adern kein blut, sondern die spur von küssen
das blut aber – trägt sie auf der haut als gewand
o carmen! aus dem opernhaus tragen wir heraus
die konterbande, die du versteckt hast in unseren ohren

o josé! schlank wie eine messerklinge
du setzt die letzte note
in den notenleib die zigeunerrippen

opera!

die stimmendegustation auf den nüchternen magen!
weingarten
deiner garderoben!
wie würd ich barfuß gern durchlaufen dort
unbekannt welchem ziel entgegen
mit der wespe, die mir ins ohr flog
wie soll das nicht jucken?

violetta! ein baum entwuchs deinem munde
wo aber ist der vogel
der auf dem wipfel singt
was hast du ihm vom gefieder gerupft
und an die eigene brust gesteckt
links

opera – du verwundetes dunkel
am leib des saales – die wunde der bühne
deine töne stürzen aus den mündern
wie ratten vom sinkenden schiff
doch der rote vorhang
wie vor moses das rote meer
teilt er sich wieder
und wir schreiten voran auf dem pfad
in unseren muschelohren
bis zur längsten, letzten note -
der stille

Die Gedichte erschienen 2009 in der deutschen Übersetzung von Katharina Narbutović im Gedichtband „Tränenfabrik” beim Suhrkamp Verlag.

© Suhrkamp

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